Kindergeld bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG aufgrund Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit – Zeitpunkt des Zuflusses der Einnahmen unerheblich

Das Bundesfinanzgericht hat mit Urteil vom 14.03.2018, III R 5/17, entschieden, dass bei einer gewerblichen Tätigkeit des nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagten Kindergeldberechtigten der Zeitpunkt der tatbestandlichen Verwirklichung des Besteuerungssachverhalts durch die ausgeübte inländische steuerliche Tätigkeit entscheidend ist. Auf den Zeitpunkt des Zuflusses der Einnahmen kommt es hingegen nicht an. Im Klartext: Dem Gewerbetreibenden, der in Deutschland nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt steuerpflichtig ist, steht Kindergeld auch für die Monate zu, in denen ihm keine Einnahmen zugeflossen sind. Allein ausschlaggebend ist, dass er in diesen Monaten seine gewerbliche Tätigkeit in Deutschland ausgeübt hat.

Das Bundesfinanzgericht hat die Frage ausdrücklich offengelassen, ob diese Grundsätze auch auf die Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit anzuwenden sind (Rn. 15 des Urteils).

Es spricht Vieles dafür, die Grundsätze, die das Bundesfinanzgericht für Gewerbetreibende entwickelt hat, auch auf Arbeitnehmer zu übertragen. Gerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage lagen bisher jedoch nicht vor.

Das Sächsische Finanzgericht hat nunmehr mit Urteil vom 29.10.2019, 4 K 98/17 (Kg) entschieden, dass auch Arbeitnehmern, die nach § 1 Abs. 3 EStG unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland sind, Kindergeld für die Monate zusteht, in denen sie tatsächlich in Deutschland gearbeitet haben, und zwar selbst dann, wenn ihnen in den betreffenden Monaten keine Einnahmen in Deutschland zugeflossen sind.

Das Gericht führt dazu u. a. aus:

„Nach Auffassung des Senats sind die Grundsätze des BFH-Urteils vom 14.03.2018 III R 5/17 auf die hier vorliegenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu übertragen. Damit ist wie bei einer gewerblichen Tätigkeit auch bei einer nichtselbständigen Tätigkeit des nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagten Kindergeldberechtigten der Zeitpunkt der tatbestandlichen Verwirklichung des Besteuerungssachverhalts durch die ausgeübte inländische steuerliche Tätigkeit entscheidend. In der Folge steht der Klägerin ein Kindergeldanspruch aus § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst, b i.V. mit § 1 Abs. 3 EStG auch in den Monaten Januar 2014, August 2014, Januar 2015 und Oktober 2016 zu, in denen sie zwar ihre Tätigkeit im Inland ausgeübt hat, ihr jedoch die hieraus resultierende Vergütung (noch) nicht zugeflossen ist.

Dass auch bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Zeitpunkt der tatbestandlichen Verwirklichung des Besteuerungssachverhalts durch die ausgeübte inländische steuerliche Tätigkeit entscheidend ist, folgt zunächst aus § 49 EStG. Denn diese Vorschrift normiert – wie für die gewerblichen Einkünfte (vgl. dazu BFH-Urteil vom 14.03.2018 III R 5/17 Rn. 22) – auch für die hier relevanten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit weitere tatbestandliche Voraussetzungen, die einen Inlandsbezug herstellen und die jeweiligen Einkünfte damit überhaupt erst zu ‚inländischen‘ i.S. des § 49 EStG machen. Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst, a EStG liegen inländische Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) vor, die im Inland ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist. Damit kommt es für die Zuordnung nicht entscheidend auf den zeitlichen, sondern auf den wirtschaftlichen Zusammenhang mit der im Inland ausgeübten bzw. verwerteten Arbeit an.

Die Tatbestandsmerkmale ‚ausgeübt‘ und ‚verwertet‘ stimmen mit § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG – betreffend Einkünfte aus selbständiger Arbeit – überein (vgl. Schmidt, EStG, 38. Aufl. 2019, § 49 Rn. 87). Eine Verwertung durch die Klägerin – dies ist ein Vorgang, durch den der Arbeitnehmer das Ergebnis seiner nichtselbständigen Arbeit seinem Arbeitgeber zuführt, und der ein Nutzbarmachen erfordert, das an einem Ort geschieht, der von dem der Ausübung verschieden sein kann (vgl. BFH-Urteile vom 12.11.1986 I R 69/83 sowie I R 320/83, BStBl II 1987, 379 und 381) – scheidet hier aus. In Betracht kommt lediglich eine Ausübung der Arbeit.

Vorliegend hat die Klägerin ihre Arbeit im Inland auch in den Monaten Januar 2014, August 2014, Januar 2015 und Oktober 2016 ausgeübt. Denn eine nichtselbständige wie auch eine selbständige Arbeit wird im Inland ausgeübt, wenn sich der Arbeitnehmer dort physisch aufhält und die Arbeitsleistung persönlich erbringt (vgl. Schmidt, EStG, 38. Aufl. 2019, § 49 Rn. 87 i.V. mit Rn. 73). Die Klägerin hat in den genannten Monaten ihre arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung als XXX an ihrem Arbeitsplatz in XXX erbracht, was zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht. Demzufolge ‚hatte‘ sie in diesen Monaten inländische Einkünfte i.S. von § 1 Abs. 3 EStG.

Demgegenüber kommt es auf den Zeitpunkt des Zuflusses des Arbeitsentgelts nicht an, wie der BFH in seiner Entscheidung zu den gewerblichen Einkünften betont hat. Denn die Vorschrift des § 11 EStG über Zufluss und Abfluss von Einnahmen und Ausgaben regelt nicht, unter welchen Voraussetzungen Einnahmen oder Aufwendungen mit bestimmten Einkünften Zusammenhängen, sie betrifft allein die zeitliche Zuordnung von Einnahmen und Ausgaben (BFH-Urteil vom 14.03.2018 IIIR 5/17 Rn. 22).

Im Übrigen kommt es nicht auf den Zufluss von ‚Einkünften‘ an, worauf die Familienkasse abstellt. Denn ‚Einkünfte‘ aus nichtselbständiger Arbeit sind der rechnerische Überschuss der Einnahmen (also der Arbeitsvergütung) über die Werbungskosten, § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG (sog. Überschusseinkunftsarten). Ein derartiger Überschuss kann aber schon rechtstechnisch nicht ‚zufließen‘ – vielmehr ist zu differenzieren zwischen dem Zufluss von Einnahmen und dem Abfluss von Werbungskosten. Ersteres ist geregelt in § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG, letzteres in § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG.

Zu keinem anderen Ergebnis führt § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst, a dritte Alternative EStG, wonach Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit auch solche sind, bei denen die Arbeit im Inland ausgeübt ‚worden ist‘. Damit sollen lediglich nachträgliche Einkünfte erfasst werden, die der beschränkten Einkommensteuerpflicht unterliegen (§ 49 Abs. 1 i.V. § 1 Abs. 4 EStG), etwa solche nach Ende des Dienstverhältnisses, z.B. Ruhegelder (vgl. Schmidt, EStG, 38. Aufl. 2019, § 49 Rn. 87). Damit stellt sich die Rechtslage bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nicht anders als bei gewerblichen Einkünften dar, bei denen auch nachträgliche Einkünfte anfallen und damit der beschränkten Steuerpflicht unterliegen können (vgl. Schmidt, EStG, 38. Aufl. 2019, § 49 Rn. 15; BFH- Urteil vom 28.10.2009 I R 28/08, BFH/NV 2010, 432). Dies ändert jedoch nichts daran, dass nach der gesetzgeberischen Konzeption der Kindergeldanspruch nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst, b i.V. mit § 1 Abs. 3 EStG an die Ausübung einer nichtselbständigen Tätigkeit im Inland geknüpft ist. Für gewerbliche Einkünfte hat der BFH dies in seiner Entscheidung vom 14.03.2018 III R 5/17 entsprechend klargestellt. Für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit kann nichts anderes gelten. Dafür spricht auch, dass die fiktive unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG in nationalrechtlicher Hinsicht nur das Kriterium des Wohnsitzes ersetzt, an dem sich die grundsätzliche Ausrichtung der Kindergeldberechtigung nach dem Territorialitätsprinzip widerspiegelt (vgl. BFH-Urteil vom 22.02.2018 IIIR 10/17, BStBl II2018, 717 Rn. 30).

Als Konsequenz hieraus steht dem Steuerpflichtigen grundsätzlich der Kindergeldanspruch aus § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst, b, § 1 Abs. 3 EStG in dem Monat zu, in dem er seine Arbeitsleistung im Inland erbracht hat, unabhängig davon, wann ihm das jeweilige Arbeitsentgelt zugeflossen ist. Anderenfalls hinge der Anspruch auf Kindergeld, wie der BFH dies auch für den Bereich der gewerblichen Einkünfte erörtert hat, von der gewählten Vertragsgestaltung ab (im Arbeitsverhältnis z.B. Vorschüsse, oder – wie im Falle der Klägerin vereinbart – der nachträglichen Zahlung des Arbeitsentgelts im Folgemonat) oder von bloßen Zufälligkeiten wie der Zahlungswilligkeit und -fähigkeit des Arbeitgebers bzw. von bankinternen Laufzeiten von Überweisungen.

Derartige Zufälligkeiten finden sich auch im Streitfall: Das Entgelt für Januar 2014 ging auf dem Konto der Klägerin am 03.02.2014 ein, das Entgelt für August 2014 am 02.09.2014, das Entgelt für Januar 2015 am 04.02.2015 und das Entgelt für Oktober 2016 gar am 01.11.2016. Demgegenüber sind in einzelnen Monaten gleich zwei Gehaltseingänge auf dem Konto der Klägerin zu verzeichnen, so im Monat Juli 2014 (Gehalt Juni 2014 am 02.07., Gehalt Juli 2014 am 25.07.2014) und im Dezember 2014 (Gehalt November 2014 am 04.12., Gehalt Dezember 2014 am 24.12.2014). Dies veranschaulicht die Widersinnigkeit, die mit einem Abstellen auf den Zeitpunkt des Zuflusses verbunden ist“.