Anwendung polnischen Rechts
Kommt es zu einem Verkehrsunfall in Polen, findet gemäß Art. 1 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 polnisches Schadensersatzrecht Anwendung. Dies gilt auch dann, wenn der der Geschädigten in einem anderen Land, zum Beispiel in Deutschland, lebt.
Schmerzensgeld nach polnischem Recht
Neben Schadensersatz kann der Geschädigte die Zahlung eines Geldbetrags als Ausgleich für die erlittenen körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen verlangen (Art. 445 polnisches Zivilgesetzbuch [Kodeks Cywilny]), also Schmerzensgeld. Nach der Rechtsprechung sind „bei der Beurteilung der Höhe des Schmerzensgeldes im Fall der Verletzung von Leib oder Gesundheit objektive Kriterien in Gestalt der Dauer und der Intensität der körperlichen und psychischen Leiden, der Unumkehrbarkeit der Unfallfolgen (Behinderung, Entstellung), der Art der ausgeübten Tätigkeit, der Zukunftschancen, des Alters des Geschädigten, aber auch subjektive Kriterien, wie das Gefühl der gesellschaftlichen Nutzlosigkeit, der Unbeholfenheit im Alltag u. ä., zu berücksichtigen“ (Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 14.01.2011, Az.: I PK 145/10).
Zu beachten ist daneben der Lebensstandard des Geschädigten, insbesondere auch der Lebensstandard in dem Land, in dem der Geschädigte lebt. Wörtlich heißt es dazu im Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 29.05.2008, Az. II CSK 78/08: „Die Höhe des Schmerzensgeldes muss die aktuelle Lage und den Lebensstandard der Gesellschaft, des Landes, in dem der Geschädigte lebt, berücksichtigen.“
Schmerzensgeldtabelle
Speziellere Regelungen zur Höhe des Schmerzensgeldes kennt das polnische Recht nicht. Es gibt auch keine von der Rechtsprechung allgemein anerkannten Schmerzensgeldtabellen. Jeder Richter entscheidet im Prinzip ausschließlich nach eigenem Ermessen über die Höhe des Schmerzensgeldes. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Richter sich in der Praxis nicht an den Entscheidungen anderer Gerichte, insbesondere der Gerichte höherer Instanzen, orientieren. Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes kann der Hinweis auf frühere gerichtliche Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen also durchaus hilfreich sein.
Gericht, Datum der Entscheidung, Aktenzeichen | Sachverhalt | Zugesprochenes Schmerzensgeld nach Umrechnung in EUR |
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Sąd Apelacyjny w Warszawie, 07.11.2012, VI ACa 603/12 | Im Jahr 2004 wurde der Geschädigte bei der Überquerung eines Fußgängerüberwegs von einem Auto erfasst. Infolgedessen erlitt er Brüche am Hüftgelenk sowie Verletzungen der Bandscheiben C5 - C7. Der Geschädigt kann sich nur noch auf Krücken fortbewegen, eine Besserung seines Zustandes ist unwahrscheinlich. Zum Unfallzeitpunk war er 65 Jahre alt und führte einen aktiven Lebensstill, betätigte sich insbesondere sportlich. | 16.250 € |
Sąd Okręgowy w Płocku, 19.08.2014, I C 1245/12 | Der Geschädigte war als Fußgänger unterwegs, als er im Jahr 2001 von einem Auto erfasst wurde, über das der Fahrer die Kontrolle verloren hatte und das deswegen von der Fahrbahn abgekommen war. Der Geschädigte erlitt Brüche des linken Oberschenkelknochens und des Beckens, Kopfverletzungen und eine Gehirnerschütterung. Er wurde mehreren Operationen unterzogen und blieb insgesamt über 6 Wochen in stationärer Behandlung. Bis 2006 konnte er wegen einer chronischen Entzündung des Oberschenkelknochens nicht seiner Arbeit nachgehen. Er war vor dem Unfall als Schlosser tätig und bei guter Gesundheit. | 17.975 € |
Sąd Okręgowy w Lublinie, 14.12.2012, I C 134/10 | Bei einem Verkehrsunfall im Jahr 2007 erlitt der Geschädigte mehrere Brüche des linken Fußes und Schienbeins sowie Verletzungen des Kopfes und der Bandscheiben in der Halswirbelsäule. Unmittelbar nach dem Unfall wurde er für 17 Tage stationär behandelt. Die Knochenbrüche wurden mit einem Gipsverband für 4 Wochen ruhig gestellt. Es kam zu einer dauerhaften Schädigung der linken Gehirnhälfte, die ein ständiges Taubheitsgefühl in der Hand sowie ein allgemeines Nachlassen der manuellen Fähigkeiten nach sich zieht. Das Verhalten des Geschädigten hat sich durch den Unfall geändert, er meidet andere Menschen, ist bei Kontakten leicht reizbar. Der Geschädigte ist auf eine Gehhilfe angewiesen. Er wird wegen der Verletzungen der Bandscheiben bis ans Lebensende Schmerzmittel einnehmen müssen. Er wird auch nie wieder die volle Berufsfähigkeit wiedererlangen. Er ist im mittleren Alter und verheiratet, wohnt mit seiner Frau und Kindern in einem Einfamilienhaus. | 37.500 € |
Sąd Okręgowy w Lublinie, 12.06.2013, I C 274/10 | Die Geschädigte saß auf dem Rücksitz eines Pkw, als es zu einem frontalen Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug kam. Sie erlitt dabei die folgenden Verletzungen: Bruch des linken Schienbeins, der Hüftgelenkpfanne, umfangreiche Ödeme und Prellungen. Sie war insgesamt sechs Wochen in stationärer Behandlung. Erst ein Jahr nach dem Unfall konnte sich die Geschädigte wieder ohne Gehhilfen fortbewegen. Zum Unfallzeitpunkt war sie 46 Jahre alt und arbeitete als Lehrerin. Sie kann ihren Beruf wieder ausüben. Die postoperativen Narben an den Beinen stellen für sie eine psychische Belastung dar. | 37.500 € |
Sąd Apelacyjny w Warszawie, 23.11.2012, VI ACa 691/12 | Bei einem frontalen Zusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug erlitt der Geschädigte folgende Verletzungen: mehrere Beinbrüche, Fußverletzungen, mehrere Rippenbrüche, Quetschungen der Lunge, Verletzungen des Dünn- und Dickdarms. Er war insgesamt 2 Monate in stationärer Behandlung und wurde mehreren Operationen unterzogen. Der Geschädigte bleibt gehbehindert, die Bewegungsfähigkeit des Sprunggelenks und des Knies ist stark eingeschränkt. Zum Unfallzeitpunkt war der Geschädigte 31 Jahre alt und als Kraftfahrer tätig. Die ersten zwei Jahre nach dem Unfall war der Geschädigte arbeitsunfähig, es war fraglich, ob und wann er die Arbeitsfähigkeit wiedererlangen wird. Alltägliche Aufgaben konnte der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt meist ohne fremde Hilfe erledigen. | 62.500 € |
Sąd Apelacyjny w Katowicach, 06.11.2013, I ACa 702/13 | Die Geschädigte verlor ihr linkes Bein als sie aus einem Bus aussteigen wollte und der Fahrer plötzlich anfuhr, so dass die Geschädigte von der Treppe fiel und mit einem Bein unter die Räder des Busses geriet. Das Bein musste auf Oberschenkelhöhe amputiert werden. Die Geschädigte war mittleren Alters und als Ärztin tätig. Sie musste die Berufsausübung aufgeben. | 62.500 € |
Sąd Apelacyjny w Warszawie, 27.09.2013, II Ca 251/14 | Die Geschädigte war mittleren Alters und beruflich tätig. Sie wurde von einem Pkw überfahren und erlitte dabei die folgenden Verletzungen: Brüche beider Beine, des Beckens, aller Rippen, Quetschungen der Lunge und des Herzens. Sie war insgesamt 9 Monate in stationärer Behandlung und wurde einer Vielzahl von Operationen unterzogen. Die Geschädigte wird nie wieder die volle Arbeitsfähigkeit wiedererlangen, sie ist in ihrer Gehfähigkeit stark eingeschränkt, sie bedarf Hilfe bei der Erledigung vieler alltäglicher Angelegenheiten. | 87.500 € |
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